4 Indians im ersten Fahr-Test: Neue PowerPlus 112-Modelle

Indian Chieftain & Challenger, Roadmaster & Pursuit (2025)
Neue PowerPlus 112-Modelle im ersten Fahr-Test

Veröffentlicht am 25.02.2025

In weiten Bögen schwingt sich die Straße durch das karge Land zwischen Lake Mead und dem Valley of Fire im US-Bundesstaat Nevada. Weit und breit niemand da, also "Feuer frei"! Die Chieftain trabt beherzt los. Um die 1.000 Umdrehungen reagiert sie noch etwas rappelig auf den entschlossenen Gasbefehl, aber kaum 500/min später geht es vehement in den Galopp. Dieser 1.834 Kubikzentimeter Hubraum umfassende Zweizylinder ist jetzt in seinem Element – und bleibt das bis jenseits der 6.000/min. Wer sich mit dem PowerPlus getauften Motor dieser Drehzahlmarke nähert, wird mitsamt der 382 kg schweren Masse von Motorrad über den Asphalt geschoben, dass es eine wahre Freude ist. Man wähnt sich auf einem deutlich leichteren Fahrzeug. Laufkultur und Kraftentfaltung … alles großartig. Lediglich deutliche Vibrationen über 6.000/min kann man dem Twin vorwerfen. Aber dieser neue Motor mit jeweils einer obenliegenden Nockenwelle pro Zylinder sieht trotz dem Wasserkühler tatsächlich nicht nur gut aus, sondern die Indian-Ingenieure haben aus ihm einen Könner auf seinem Gebiet gemacht. 126 PS – das ist in zweizylindrigen Ami-Cruisern eine Ansage. Fette 181,4 nominelle Newtonmeter Drehmoment bei bereits 3.800/min auch.

Wettrüsten erreicht nun auch Highway-Cruiser

Beim Motor hat Indian also ernst gemacht mit der Ansage, dass das Wettrüsten nun auch die sonst so relaxten Highway-Cruiser erreicht hat. Ami-typisch ignorieren sie dabei zwar, dass die Europäer etwa in Form der Ducati Diavel oder der Triumph Rocket längst weiter sind, aber in ihrer gerade von höchster Ebene vorgelebten Selbstzentriertheit findet das Ganze als Zweikampf mit Harley statt. Und schaut man den Style der vier Modelle dieser Plattform an, haben sie ja gar nicht so unrecht, denn solche Bagger (Chieftain und Challenger ) und Tourer ( Roadmaster und Pursuit ) – dazu mit V-Twin – sind halt US-Territory.

In diesem Duell um die Ami-Herrschaft kommt Indian bei den PowerPlus-Modellen gleich mit dem nächsten Trumpf ums Eck. Sechs-Achsen-IMU und dazu noch der Abstandsradar mit Totwinkelwarner von Boschzeugen davon, dass die Biker-Freiheit für alle Easy Rider nicht mehr nur zwischen Fahrerhand und zwei dicken Reifen auf dem Highway stattfindet. Dazu kommt ein bildgewaltiger TFT-Touchscreen, dessen Anzeigemöglichkeiten sich per Drag and Drop ganz individuell anordnen und kombinieren lassen. Bedienbarkeit der potenten Stereoanlage neben der Aktivierung der Traktionskontrolle? Kein Problem, einfach aus dem Menü mit dem Finger über den Bildschirm ziehen. Die beiden Tourer bieten dazu serienmäßig Griffheizung und eine heizbare Sitzbank, die sich außerdem an heißen Tagen sogar auch runterkühlen lässt, sowie ein per Knopfdruck in der Vorspannung anpassbares Federbein am Heck.

Bagger-Modelle Chieftain und Challenger

Wer den Unterschied bzw. den tieferen Sinn der Namen aller vier Bikes noch nicht ganz umrissen hat und etwas verwirrt ist, hier unsere Eselsbrücke: Beide Modelle mit dem C als Initial (Chieftain und Challenger) sind die Bagger. Ergo haben sie die Heizfeature nicht, und auch nicht die Möglichkeit, das Einzelfederbein im Heck elektronisch vorzuspannen. Hier geschieht das manuell. An der Gabel geht in Sachen Einstellbarkeit bei allen vieren nichts. Unterschied und Gemeinsamkeit der Bagger mit den Tourern definiert einzig die Frontverkleidung. Bei der Chieftain und der Roadmaster ist diese an der Gabel aufgehängt und lenkt folglich mit. Bei der Challenger und Pursuit ist sie dagegen rahmenfest verbaut und zeigt somit immer achsgenau nach vorn. Letzteres erlaubt eine etwas üppigere Ausführung, in der ein massiverer Scheinwerfer mit Kurvenlicht verbaut ist und was zu einigen Kilo Mehrgewicht an der Front führt. Wieviel genau konnte uns beim Fahrtermin leider niemand sagen. Insgesamt soll die Chieftain aber sechs Kilogramm leichter sein als die Challenger. Doch wie schon erwähnt: Bei insgesamt über 380 kg fahrfertig ist das eine oder andere Kilo mehr geradezu egal.

Auch, weil die Bagger auf weiten Schwüngen und sobald sie richtig rollen ein prima Handling abliefern. Zwar fängt die Front bei europäisch engagiertem Tempo (also gut jenseits der 120 km/h) in Bögen bei beiden Baggern schonmal an vorne leicht um die Längsachse zu pendeln, aber problematisch wirkte das auch bei Schlägen von schlechten Straßenabschnitten ins ordentlich funktionierende Fahrwerk nicht. Vielmehr verwöhnen die Bikes mit Aluguss-Rahmen durch recht großen Komfort, wenn es unter den 19 (vorn) und 16 (hinten) Zoll großen Rädern hoppelig wird. Gieriges Einlenken und andere sportliche Attribute verbieten sich bei der Beschreibung des Fahrerlebnisses allerdings. Werden die Bögen auch nur andeutungsweise enger, ist entschlossener Einsatz vom Fahrer gefragt. Aber insgesamt ist das für diese Art Bikes auf wirklich guten Niveau.

PowerPlus-Bikes mit lässiger Gangart

Lässige Gangart ist das Ding der PowerPlus-Bikes. Und gemütliches Kilometerfressen. Wer das mit höherem Tempo macht, etwa auf der Autobahn, fährt den Windschild per Knopfdruck nach oben und aktiviert den Tempomaten. Adaptiv ist der allerdings nicht, dafür fehlt den Indians der Frontradar. Die Ergonomie ist für solche Ausritte hervorragend. Entspannt hängt man im Sattel, die Sitzbank ist dazu weder zu weich noch zu hart. Der lang nach hinten geführte Lenker liegt gut in der Hand und die Füße finden auf den Tritten genügend Platz. Gut gelungen ist das Ganze zwischen fahraktiv genug, um nicht bald mit Rundrücken und wundem Hintern die Lust zu verlieren, und nicht zu lässig, um das Gefühl für die Fuhre nicht zu verlieren.

Außerdem zu erwähnen ist die Bremsanlage. Indian hat vorn und hinten kombiniert. Sowohl der Tritt aufs Pedal als auch der Griff in den Hebel aktiviert beide Bremsen, die außerdem gut zupacken und besonders über den Hebel für solche Ami-Schiffe erstaunlich gut zu dosieren sind. Dazu verfügen sie über eine Berganfahrhilfe, rollt also der schwere Ofen nicht zurück. Toll auch, wie gut die Metzeler Cruistec auf den Gussfelgen agieren, ein Aufstellmoment ließ sich nur bei entschlossener Schräglage und dann vehementem Griff in die Eisen feststellen.

Apropos Schräglage: Die ist bei 137 Millimeter Bodenfreiheit natürlich recht bald am Limit, dann schleifen die Trittbretter über den Asphalt. Aber wen juckt das, wenn sich der Highway vor dir ausbreitet, die Eagles über die leistungsstarke Stereoanlage zum "Peaceful Easy Feeling" rufen und dich der Twin unaufgeregt in die Unendlichkeit schiebt? Ein Schnäppchen ist das alles freilich nicht. Und hier sei gleich noch der Vergleich mit Harley erlaubt. Die Indian Challenger Limited Limited kostet 32.890 Euro. Das Äquivalent von Harley ist die Road Glide mit dem zwar größeren 117 Kubik Inch-Motor, der allerdings nur 108 PS liefert, wofür Harley aktuell in der einfachsten Ausstattung 32.600 Euro möchte. HD-Fans, die leistungsmäßig mit Indian mithalten wollen, müssten folglich auf die CVO-Road Glide ST mit dem 128 PS starken Milwaukee 8 zurückgreifen, die dann aber über 50.000 Euro kostet. Sieht also so aus, als wäre die 112 die heißere Sieg-Zahl.